Eine internationale Geschichte

Eine internationale Geschichte

 

Mein Name ist Maria, ich bin eine Angehörige von Alkoholikern!

 

Ich lernte Al-Anon in Australien kennen. Mein Mann Karl, wieder einmal ganz unten (und ich mit ihm) suchte verzweifelt Hilfe bei den Anonymen Alkoholikern (AA).

 

Ein ganzes Jahr lang ging ich mit ihm in diese Monster-Meetings in Sydney; ein Theatersaal voller Anonymer Alkoholiker/innen. Ich war beeindruckt von deren Ehrlichkeit, wenn sie ihre Lebensgeschichte erzählten. Bei Brötchen und Kaffee konnte anschließend noch geplaudert werden.

 

Karl konnte so ein Jahr lang ohne Alkohol auskommen und ich mich etwas erholen. Durch Stress in der Arbeit vernachlässigte er jedoch dann seine Meetingsbesuche und begann wieder zu trinken.

 

Karl arbeitete als Sub-Unternehmer und hatte als Helfer zuerst unseren älteren Sohn mit. Dieser kam aber gar nicht zurecht mit seinem trinkenden Vater. Schließlich kamen wir überein, dass er, die vorher in Österreich besuchte HTL fertigmachen sollte und wir schickten ihn 16 ½ jährig, zurück nach Österreich.

 

Nun war unser jüngerer Sohn an der Reihe, den Helfer zu spielen und ich lebte in ständiger Angst, wie die beiden wohl von der Arbeit nach Hause kommen würden, da unser Sohn noch keinen Führerschein hatte, er aber öfters seinen betrunkenen Vater heim chauffierte.

 

Ich war fertig und vertraute mich einem AA an und der meinte: „Ja für dich gibt es ja euch ein Meeting!“ Mein erstes Al-Anon-Meeting – welch eine Erleichterung! Erst jetzt erkannte ich, daß Alkoholismus eine Krankheit ist und das Trinken meines Mannes nichts mit der Liebe zu uns zu tun hatte.

 

Wir waren eine kleine Gruppe von Al-Anons. Ich wurde so lieb aufgenommen. Mein Englisch war miserabel, trotzdem hörten sie mir aufmerksam zu, trösteten mich und sagten: „Komm nur wieder, wirst sehen, bald geht es dir besser!“ Auch hatte ich schnell eine Aufgabe: Die Milch für den Tee mitzubringen! Obwohl es mir finanziell nicht so gut ging, beeilte ich mich mein Scherflein beizutragen. So eine segensreiche Einrichtung musste aufrechterhalten bleiben und hätten nicht die Amerikaner die Australier gesponsert und die Australier ihrerseits neue Gruppen, wer weiß wo ich – ohne Al-Anon – gelandet wäre.

 

Ich brauchte ziemlich lange, bis ich eine Al-Anon wurde, die auch in den Schritten arbeitete. Lange Zeit erzählte ich, was gerade wieder Fürchterliches daheim passiert war. Sie kannten alle meine Geschichte,

  • dass Karl schon einmal alleine in Australien war und ich mit den 2 und 3 Jahre alten Buben nicht mitging, weil ich seine Unverlässlichkeit kannte,
  • dass er, nach 5 Jahren heimgekehrt kurz trank, dann aber eine Abendschule besuchte und fast 3 Jahre ohne Alkohol auskam,
  • dass er dann glaubte wieder normal trinken zu können und in kürzester Zeit wieder alles drunter und drüber ging,
  • dass er wieder nach Australien wollte, mit Familie, und die Kinder dahingehend beeinflusste, bis wir schließlich auswanderten.

Ja, ich hatte mir das alles von der Seele reden können und langsam fing ich an auch meine Fehler zu sehen; dadurch wurde es zuhause ruhiger und friedlicher. Meinem Mann aber ging es gesundheitlich zusehends schlechter und endlich war er bereit wieder Hilfe bei den AA’s zu suchen.

 

Nun hatten wir eine längere Erholpause, Karl in AA, ich in Al-Anon und unser Sohn besuchte Alateen-Meetings. Wir hatten Grill-Partys und verschiedene sportliche Aktivitäten gemeinsam mit unseren AA- und Al-Anon-Freunden. Ich bewunderte Jackie, eine Al-Anon-Freundin, welche einen Witwer mit 6 Kindern geheiratet hatte und dann selber noch ein Baby von ihm bekam, wenn sie zu den Al-Anon-Meetings mit einem Schub Kinder ankam, diese in das Alateen-Zimmer hineinschob und dann 1 ½ Stunden bei uns Kraft und Hoffnung tankte.

 

Karl hatte sich gut erholt, mietete eine Werkstätte, gründete eine Firma, hatte 13 Leute eingestellt und die Stahlkonstruktionsarbeiten an einem Hochhaus übernommen. Eine Zeitlang funktionierte alles ganz gut, doch ab dem 6-ten Stockwerk streikten die Maurer immer wieder. Karl konnte nicht weiterarbeiten, doch auch seine Leute nicht entlassen. Er kam in finanzielle Schwierigkeiten und begann wieder zu trinken. Schließlich konnte ihn nur mehr eine Entwöhnung retten. Er kam in ein Spital der Heilsarmee, welche auf Alkohol-Entwöhnung spezialisiert war und von dort auf eine Farm, auf der es Betreuung, aber auch Arbeit gab.

 

Von der Familienfürsorge wurde ich angerufen ob ich eine Unterstützung benötigte – ich konnte dankend ablehnen, weil ich ja selber zur Arbeit ging. Mein Sohn und ich machten den Fehler und holten Karl nach einmonatigem Aufenthalt auf dieser Farm, für 2 Tage zurück. Dringende Erledigungen in seiner Firma standen an, doch Karl ging nicht mehr zurück auf die Farm und als er sah, dass seine Firma den Bach hinunterschwamm, wollte er zurück nach Österreich.

 

Ich war durch Al-Anon schon fest genug, sagte ich würde nur nachkommen, wenn er eine Wohnung in unserer Heimatstadt gefunden hätte. Wir verkauften einige Privatgegenstände damit er Geld für eine Wohnungsanzahlung hätte. Mein Sohn und ich zogen in einen billigere Wohnung und Karl flog nach Österreich. Karl meldete sich lange Zeit nicht. Er hatte das Geld in Deutschland mit einem Prinzen, welcher in Sachen Umweltschutz unterwegs war, verbraucht. In Österreich hatte er sich auf Schulden eine Garconniere gemietet, gearbeitet, aber nicht mehr zu Trinken aufhören können, bis er sich mit einem Delirium in der Nervenanstalt wiederfand. Davon erfuhr ich erst, als ich nach einem halben Jahr nach Österreich nachkam. Mein Sohn wollte nicht mitkommen – er hatte gerade ein Mädchen kennengelernt.

 

Karl hielt es in Österreich nicht lange aus. Er hatte ein verlockendes Angebot. In der Nähe von München wurde für das Heizwerk einer größeren Wohnhausanlage ein Verantwortlicher gesucht. Wir zogen nach Deutschland. Unser Sohn in Österreich lieh seinem Vater Geld für den Kauf eines Autos. Wir wussten, in München gibt es AA und Al-Anon Selbsthilfegruppen. Wir hatten Glück und fanden Gruppen welche örtlich nicht weit auseinander, an demselben Tag zusammenkamen und so konnten wir jede Woche gemeinsam zu unseren Meetings hin und zurück fahren. Mein Mann war begeistert von den Meetings in Deutschland und ich fand wieder liebe Al-Anon-Freunde mit denen ich teilen konnte: Erfahrung, Kraft und Gott sei Dank auch Hoffnung!

 

Wie gut war es doch, dass die Gruppen versuchten über ihren eigenen Tellerrand hinauszublicken und durch Öffentlichkeitsarbeit und Spenden das Programm auch hier Fuß gefasst hatte. Deutschland war aber, was Leben und Wohnen anbelangte, ein teures Pflaster und obwohl wir nur halbe Miete zu zahlen hatten konnten wir nicht das sparen, was mein Mann sich vorgestellt hatte. Nach einem Jahr gingen wir zurück nach Österreich.

 

Karl fand in unserer Heimatstadt Arbeit. Ein großes Unternehmen suchte Leute für Auslandsarbeiten. Karl kaufte auf Kredit eine Eigentumswohnung. Ich konnte zu Hause wieder in meinem Beruf arbeiten. Ich vermisste meine Meetings. Wenn Karl von seinen Auslandsarbeiten auf Urlaub heimkam konnte er bei uns schon ein AA-Meetings besuchen, für Angehörige aber gab es noch keine Selbsthilfegruppe.

 

Australische Freude rieten mir, doch selbst eine Gruppe zu gründen. Ich schob das hinaus; war noch zu sehr mit neuer Wohnung, neue Arbeit beschäftigt. Als ich mir nach ca. ½ Jahr ein Herz fasste, siehe da, existierte inzwischen eine Gruppe von 3 Leuten und ich war die 4te im Bunde. Jetzt begann ich wieder festen Boden unter meinen Füßen zu gewinnen.

 

Karl war in Nigeria, Algerien, Jordanien und hatte mit Rückfällen zu kämpfen, gab es doch dort keine AA-Meetings. In Amerika hingegen, wo die AA-Gruppen dicht gesät waren, schaffte er es lange Zeit ohne Alkohol. Ich konnte ihn dort, in meinem Urlaub auch einmal besuchen, lernte AA-Freunde kennen, besuchte Al-Anon Meetings in einem Vorort von New Orleans / Louisiana.

 

Es war schön feststellen zu können, dass die Al-Anons auf unserer Welt alle gleich sind, egal in welchem Land sie leben oder welcher Rasse oder Religion sie angehören. Alle bemühen sich nach dem 12 Schritte Programm zu leben und sind willens, das Al-Anon Programm an anderen zukommen zu lassen.

 

Bei Feiern über eine gelungene Fertigstellung eines Projektes in Amerika griff Karl unglückseligerweise zu einem Glas Alkohol. Ein einwöchiger Ausfall seinerseits war die Folge. Er rief mich an, war selber am Boden zerstört weil er wieder trank. Ich rief eine Al-Anon Freundin an, diese verständigte einen AA-Freund und der holte Karl von zuhause ab – und so schaffte Karl es wieder vom Trinken abzulassen. Die Firma in Amerika aber, von ihm enttäuscht, betraute ihn nicht mehr mit weiteren Arbeiten. Von seiner Stammfirma in Österreich übernahm Karl nun Arbeiten in Saudi-Arabien, dieses Mal am Ölsektor. 3 Monate in Saudi-Arabien, 2-3 Wochen wieder zuhause, dort kein Meeting, hier Gott sei Dank eines – Karl schaffte es immer wieder für längere Zeit trocken zu bleiben.

 

Als unser älterer Sohn hier in Österreich Schwierigkeiten durch zu viel Alkoholkonsum bekam, nahm Karl ihn mit zu den AA’s. Er ist nun schon ein langjähriges AA-Mitglied ohne Rückfall.

 

Mein Mann jedoch hatte, nach einem einwöchigen Rückfall in Saudi-Arabien, seinem Körper zu viel zugemutet und er starb im Ausland.

 

Ich hätte meine Erlebnisse nicht so gut verkraftet, wenn ich nicht die Unterstützung meiner Al-Anon Freunde gehabt hätte, die mit ihrer Erfahrung und ihrer Anteilnahme mir Kraft, Mut und Hoffnung gaben. Mit ihnen zusammen lernte ich auf mich zu schauen, im HEUTE zu leben und das schlimme Gestrige und besorgniserregende Morgen wegzuschalten. Gelingt’ s auch nicht immer 100%ig, es gibt Telefonkontakte und ein nächstes Meeting.

 

Mein Sohn in Australien ist von dieser Familienkrankheit auch nicht verschont geblieben. Er kämpft seinen eigenen Kampf, ohne AA, aber mit der Kirche und ist derzeit wieder seit einem Jahr trocken.

 

Auch einer meiner Enkelsöhne hier hat arge Probleme mit Alkohol plus Drogen. Als langjährige Al-Anon bin ich immer wieder bemüht, beide loszulassen, für sie zu beten bzw. Gott zu überlassen.

 

Maria, Al-Anon / Österreich