Eine Schwester erzählt

Eine Schwester erzählt

 

Hallo Freunde!

 

Ich (verheiratet und mittlerweile vierfach Großmutter geworden) habe eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder, die alkoholkrank sind.

 

Wir Kinder hatten wohl Eltern, die sich um uns gekümmert haben, jedoch war mein Vater sehr jähzornig. Egal, ob meine Brüder frech waren oder nicht lernen wollten und daher schlechte Noten in der Schule bekamen, erhielten sie Schläge. Letztere standen viele Jahre lang fast an der Tagesordnung. Das hat mich sehr verletzt. Gefühle wie Wut, Scham, Zorn, nicht verstanden werden waren mir vertraut. Ich wurde ein stilles, ängstliches und angepasstes Kind, spürte jedoch in meinem Innersten, dass auch mein Vater unter seinem Jähzorn und dessen Folgen sehr gelitten hat.

 

Als Heranwachsende gingen meine Brüder oft in ein Gasthaus, das ganz in der Nähe unseres Hauses war. Eines Tages brachten zwei Freunde meinen total betrunkenen Bruder Hans nach Hause. Mein Vater ließ daraufhin zwei Herren vom Blauen Kreuz kommen, die mit meinen Eltern und mit meinem Bruder sprachen. Vater sagte danach „wenn sich Hans die Worte dieser Männer nicht zu Herzen nimmt, wird er mit dem Trinken vielleicht dann erst aufhören, wenn es ihm gesundheitlich schlecht geht“. Damit war das Thema Alkohol in meiner Familie abgeschlossen.

 

Mit 26 heiratete ich und bekam zwei Kinder. Für alles (Haushalt, Kindererziehung, ...) fühlte ich mich verantwortlich. Wenn mein Mann oder die Kinder mit mir sprachen, fiel ich ihnen oft ins Wort, gab ihnen gut gemeinte Ratschläge und wunderte mich, warum die Gespräche so plötzlich endeten.

 

Der Kontakt zu meinen Geschwistern ging in dieser Zeit sehr zurück. Zwei oder dreimal besuchte ich meinen alleinstehenden Bruder und hatte ein schlechtes Gewissen, weil dies nicht öfter geschah. Vor einem größeren Familientreffen (runder Geburtstag einer meiner Tanten, eines Onkels oder Begräbnis) beunruhigte mich der Gedanke „wie werden sich meine Geschwister verhalten?“. Beide bestellten im Gasthaus reichlich Bier. Meine Schwester wurde bald sehr redselig, mein Bruder dagegen eher schweigsam. Mir war vieles peinlich.

 

Vor 3 ½ Jahren kam ich zu Al-Anon, lernte das Zwölf-Schritte-Programm, Al-Anon Literatur, die Slogans und vor allem Menschen kennen, die mich so nahmen, wie ich bin. Ich entdeckte meine Co-Abhängigkeit, das ist die Sucht, gebraucht zu werden. Die Probleme der anderen waren mir wichtiger als meine eigenen. Ein Satz, den eine Al-Anon Freundin während eines Meetings aussprach, schlug wie ein Blitz bei mir ein: „Ich helfe prinzipiell keinem Menschen, der sich selber helfen kann“. Heute kann ich liebevoll NEIN sagen, wenn ich spüre, dass ich dann gut zu mir bin. Ob meine Geschwister trocken werden dürfen, liegt in der Hand meiner höheren Macht. Vor ca. einem halben Jahr habe ich das Tabuthema Alkohol gebrochen. Meine Schwester gab zu, Alkoholikerin zu sein.

 

Mit einem Ausspruch meiner Mutter über meine Geschwister „sie sind im Grund genommen ja herzensgute Menschen“ möchte ich meinen Bericht abschließen.

 

Gute 24 Stunden. Sabine