Heute mache ich Bilanz
Heute mache ich Bilanz
In meinem Leben „VOR AL-ANON“ gab es ständig ein AUF und AB der Gefühle. Viele Tage, Wochen und Monate waren von Kummer und Sorgen geprägt.
Dazwischen gab es immer wieder Hoffnung. Ich sagte mir in 4 – 6 Wochen einmal Zuviel zu trinken, das ist doch nicht so schlimm. In dieser Zeit begann ich zu kontrollieren, weise Sprüche abzugeben, aber auch nach einem Grund zu suchen.
Mein Mann, ein umgänglicher, redegewandter Mensch, redete plötzlich blödsinnige Sachen und war sehr streitsüchtig. Getrunken wurde meist versteckt und nur bei uns zu Hause. Die heimliche Ration hat es ausgemacht. Und so wurden alle Gäste bei Familientreffen hinausgeekelt.
Das gleiche Muster lief mit unserem Sohn ab. Es gab kein normales Miteinander mehr. Unser Sohn lebt in Deutschland und besucht uns mit Lebensgefährtin ca. alle 4 – 6 Wochen. Wohnt aber in diesen Tagen nicht bei uns. Es kommt so weit, dass die zwei Männer nicht mehr miteinander sprechen.
In dieser Zeit hatte ich bereits viele Hilfsmittel zur Hand. Einerseits waren es die Meetings, aber auch die Literatur holten mich wieder schnell aus den Tiefs heraus und ich konnte trotzdem gut schlafen, was früher ein großes Problem war.
„Warum tu`st du dir das an?“, fragte mich eines Tages mein Sohn. Da brauchte ich nie lange nachzudenken. Meine einfache Antwort: „Weil ich diesen Menschen nach über 40 jähriger Ehe immer noch liebe! Aber auch weil dieser Mensch, dein Vater, viele gute Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft und Lebenstüchtigkeit gehabt hat. Alkoholmissbrauch führte zu dem Menschen, mit dem wir jetzt nicht zurechtkommen.
Ein Totalrausch an einem Vormittag war der Auslöser zu Al-Anon zu gehen. An diesem Tag wollte mein Mann, ein prima Hobbykoch, das Mittagessen zubereiten. Etwas zwei Stunden war ich beim Arzt und zu Hause erwartete mich mein Mann mit Vollrausch. Das Mittagessen war getränkt mit Rotwein, das Püree an den Möbeln. Das hat mich so geschockt, dass ich jetzt für mich ganz sicher war: „Montag gehe ich ins Meeting!“.
Beim ersten Meeting war die Aufregung riesengroß - aber noch nicht vorbei – spürte ich deutlich: „Da gehöre ich her! In dieses Meeting.“ Dieses Gefühl hat mich bis heute nicht verlassen. Ganz im Gegenteil. Die Geborgenheit unter den Al-Anon`s öffnete mir den Zugang zu mir selbst.
Der geschützte Raum, in welchem wir sprechen können, ist schon etwas Besonderes für mich. Ich meldete mich oft zu Wort und konnte wie sonst nirgends über alles reden. Die Last, wenn ich manches Mal ins Meeting ging, war am Nachhauseweg immer kleiner. Besonders viel lernen konnte ich durch das aufmerksame Zuhören, wenn andere über ihre Sorgen und Erfahrungen sprachen. Durch das 12-Schritte- Programm bin ich zu einem anderen Menschen geworden.
Anfangs leistete mein Mann Widerstand gegen Al-Anon, denn ich wurde unbequem. Es fehlte einerseits der Partner zum Streiten, andererseits wurde ich ein gefestigter Partner, der sich auf Beteuerungen und Versprechen nicht mehr einließ. Es half kein Bitten und keine Drohung, ich ließ mich nicht ein einziges Mal von meinem eingeschlagenen Weg abbringen.
Die Folge war – meine innere Ruhe und Gelassenheit. Ich verhielt mich liebevoller und respektvoller in den vielen Gesprächen. Ein Satz hat, glaube ich, immer positive Reaktionen hervorgerufen: „Ich habe dich immer noch sehr gern, aber wenn du unter dem Einfluss von Alkohol stehst, kann ich mit dir nichts anfangen!“.
Für mich hat vieles in meinem Leben jetzt eine andere Wertigkeit. Ich weiß über mich und mein Inneres besser Bescheid. Horche in mich hinein und habe erst jetzt gelernt mich zu entspannen. Ich nehme mich viel besser wahr und mache auch viel für mich. Das war aber ein längerer Prozess und ist wahrscheinlich nie abgeschlossen.
Trotzdem, dass mein Mann nicht trocken war, ich bin zu einem zufriedenen, dankbaren, fast glücklichen Menschen geworden. Ich habe diese Situationen – Alkohol und andere Schwierigkeiten - akzeptiert.
Das Al-Anon Programm hilft in allen schwierigen Lebenslagen.
Nach einem Kuraufenthalt hat mein Mann mir verkündet, nie wieder Alkohol zu trinken. Das hat bis heute, 2,5 Jahre danach, gehalten. Dadurch hat sich hauptsächlich geändert, dass aus einem frustrieten, unzufriedenen Menschen, mir ein liebevoller, zufriedener und dankbarer Mensch geschenkt wurde. Es ist tatsächlich ein Geschenk in unserem Alter noch verliebt zu sein. Und das, trotz einer vor 1,5 Jahren gestellten Diagnose: „Demenz“. Das hatte schon viele Sorgen mit sich gebracht, aber dank Al- Anon haben wir jetzt ein Leben mit viel Nähe und Liebe. Wir nehmen jeden Tag für sich an und es sind meist schöne Tag in Dankbarkeit. |
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